22. April 2025
Schneller auf dem Markt:
Lessons Learned vs. Retrospektiven
Warum Veränderung oft ausbleibt
Wie KI den Prozess gestalten kann
Heinz Erretkamps, angeregt von dem AGILean Praxisdialog vom 17.04.2025
22. April 2025
Schneller auf dem Markt:
Lessons Learned vs. Retrospektiven
Warum Veränderung oft ausbleibt
Wie KI den Prozess gestalten kann
Heinz Erretkamps, angeregt von dem AGILean Praxisdialog vom 17.04.2025

Im klassischen Projektgeschäft gehören Lessons Learned zum Standardrepertoire: Am Projektende werden Erfahrungen gesammelt, Erfolge und Fehler dokumentiert und Empfehlungen für die Zukunft ausgesprochen. Das Ziel ist klar – aus Fehlern lernen, Potenziale erkennen und die Organisation weiterentwickeln. Doch in der Praxis verschwinden diese Erkenntnisse häufig in Datenbanken oder auf Sharepoints. Sie werden selten aktiv genutzt, die gleichen Fehler wiederholen sich, und echte Veränderung bleibt oft aus. Lessons Learned sind meist rückblickend, einmalig und stark auf die Vergangenheit fokussiert. Es fehlt an Verbindlichkeit, Sichtbarkeit und Integration in den Arbeitsalltag.
Retrospektiven im agilen Kontext gehen einen entscheidenden Schritt weiter: Sie finden regelmäßig während des Projekts statt, das Team reflektiert gemeinsam, was gut lief und was verbessert werden kann, und vereinbart konkrete Maßnahmen für den nächsten Arbeitszyklus. So entsteht ein kontinuierlicher Verbesserungsprozess (KVP), der direkt im laufenden Projekt Wirkung entfaltet. Die Ergebnisse sind sichtbar, überprüfbar und werden gemeinsam verantwortet.
Der zentrale Unterschied:
Lessons Learned:
- Rückblickend, einmalig
- Oft unverbindlich
- Fokus auf Vergangenheit
- Selten wirksam
Retrospektiven:
- Iterativ, regelmäßig
- Teamzentriert, unmittelbar wirksam
- Fokus auf kontinuierlicher Verbesserung
- Fördern lebendiger Lernkultur
Doch egal, ob Lessons Learned, Retrospektiven oder Check-Outs: Entscheidend ist, dass es jemand wirklich wollen muss, damit Reflexion und Veränderung gelingen. Ohne echtes Wollen, ohne die Bereitschaft, sich mit den eigenen Prozessen und Ergebnissen auseinanderzusetzen, bleiben alle Formate wirkungslos. Retrospektiven sind kein Selbstläufer – sie entfalten ihre Kraft nur, wenn Teams und Führungskräfte sie als Chance begreifen und aktiv gestalten (Collaboard, n.d.; Parabol, n.d.).
Und was hindert, auch wenn nicht agil gearbeitet wird, während des Projektes Retrospektiven durchzuführen? Zugegeben, das könnte in manchen Organisationen eine Herausforderung sein.
Herausforderungen bei Retrospektiven
Die Teilnehmer des AGILean Praxisdialogs berichteten von typischen Stolpersteinen:
- Retros werden als lästig empfunden oder als „schon wieder das Gleiche“ abgetan.
- Maßnahmen werden nicht umgesetzt, Ergebnisse verschwinden in Datenbanken.
- Psychologische Sicherheit fehlt, Konflikte werden vermieden.
- Die Führungskultur ist unklar oder widersprüchlich.
- Es gibt Widerstand („Wir brauchen keine Retro!“), Überdruss oder das Gefühl, es gäbe keine echten Themen mehr.
- Druck und Kontrolle stehen im Widerspruch zu intrinsischer Motivation und kontinuierlicher Verbesserung.
- Wertschätzung und Lob fehlen, Ergebnisse sind nicht sichtbar (Agilemania, 2025; Parabol, n.d.).
Erfolgsfaktoren für lebendige und wirksame Retrospektiven
- Psychologische Sicherheit schaffen: Nur wenn Teammitglieder offen und ohne Angst vor negativen Konsequenzen sprechen können, entsteht echter Mehrwert. Führungskräfte sollten mit gutem Beispiel vorangehen, sich verletzlich zeigen und Feedback als Entwicklungschance etablieren (Korsak, 2024).
- Sinn und Nutzen der Retro transparent machen: Die Zielsetzung jeder Retro muss klar sein. Sichtbare Ergebnisse und konkrete Maßnahmen motivieren – sie sollten für alle am Board dokumentiert und nachverfolgt werden, nicht in Datenbanken verschwinden (Parabol, n.d.).
- Formate und Methoden variieren: Abwechslung verhindert Überdruss. Methoden wie „Start, Stop, Continue“ oder „Mad-Sad-Glad“ bringen neue Perspektiven (Korsak, 2024).
- Maßnahmen sichtbar und verbindlich machen: Keine Retro ohne konkrete, umsetzbare Maßnahmen, die im nächsten Sprint überprüft werden (Agilemania, 2025).
- Beteiligung und Eigenverantwortung fördern: Die Retro ist für das Team da, nicht für die Führung oder das Reporting. Moderation kann rotieren, externe Moderation kann helfen (Collaboard, n.d.).
- Kulturwandel als Führungsaufgabe: Führungskräfte müssen Retros als Investition in die Teamleistung verstehen und fördern, nicht als Pflichtübung (Korsak, 2024).
Die Rolle von KI: Unterstützung, aber kein Ersatz für echtes Wollen
Künstliche Intelligenz kann den Prozess von Lessons Learned und Retrospektiven auf vielfältige Weise unterstützen:
- Methodenauswahl und Vorbereitung: KI kann kontextbezogene Methoden vorschlagen und Teams helfen, abwechslungsreiche und passende Formate zu wählen.
- Datenanalyse und Mustererkennung: KI kann große Mengen an Lessons Learned und Retro-Daten analysieren, Muster erkennen und Teams auf wiederkehrende Probleme oder Chancen aufmerksam machen.
- Maßnahmen-Nachverfolgung: KI-gestützte Systeme können automatisch an vereinbarte Maßnahmen erinnern, deren Umsetzung überwachen und Fortschritte transparent machen.
- Automatisierte Dokumentation: KI kann Diskussionen auswerten, Schlüsselpunkte extrahieren und strukturiert dokumentieren, sodass keine Erkenntnisse verloren gehen (Agilemania, 2025).
Doch: All diese Unterstützung bleibt wirkungslos, wenn das Team oder die Führung nicht wirklich wollen, dass Retrospektiven gelingen. Die beste KI, die modernsten Tools und die kreativsten Methoden helfen nicht, wenn die Beteiligten nicht bereit sind, sich auf Reflexion und Veränderung einzulassen. Es braucht die bewusste Entscheidung und das aktive Engagement jedes Einzelnen, damit Retrospektiven – egal in welcher Form – zu echtem Lernen und nachhaltiger Verbesserung führen (Collaboard, n.d.; Parabol, n.d.; Korsak, 2024).
Praktische Impulse aus dem AGILean Praxisdialog
- Vom „Muss“ zum „Darf“: Retrospektiven werden erst dann wirksam, wenn sie als Möglichkeit zur aktiven Gestaltung und Verbesserung erlebt werden, nicht als vorgeschriebenes Ritual.
- Kleine Formate, große Wirkung: Kurze Check-outs nach Meetings oder situative Reflexionsrunden („Retro on demand“) können Reflexion zur Normalität machen.
- Namensgebung überdenken: Wenn „Retro“ negativ besetzt ist, einfach anders nennen – etwa „Team-Dialog“ oder „Feedback-Session“.
- Geduld und stetige Impulse: Kulturwandel braucht Zeit. Stetige, kleine Impulse und sichtbare Erfolge helfen, Retrospektiven im Alltag zu verankern.
- Erfolge sichtbar machen: Maßnahmen sollten nicht in Datenbanken verschwinden, sondern für alle sichtbar dokumentiert und nachverfolgt werden.
- Führung als Kulturgeber: Führungskräfte sind zentrale Impulsgeber für psychologische Sicherheit und Lernkultur.
Fazit
Eine wirksame Retrospektive lebt von psychologischer Sicherheit, sichtbarer Wirksamkeit und einer Kultur, in der Lernen und kontinuierliche Verbesserung selbstverständlich sind. Führungskräfte sind dabei Kulturgeber und Vorbilder. Methodenvielfalt, klare Zielsetzung, sichtbare Ergebnisse und echte Beteiligung machen aus der „lästigen Pflicht“ einen echten Hebel für Team- und Unternehmenserfolg. KI kann dabei unterstützen, aber der entscheidende Erfolgsfaktor bleibt: Es muss jemand wirklich wollen.
Referenzen
- Agilemania. (2025, February 5). Lessons Learned and Project Retrospective. https://agilemania.com/tutorial/lessons-learned-and-project-retrospective
- Collaboard. (n.d.). Successful Retro Meetings – Collaboard. https://www.collaboard.app/en/blog/successful-retrospectives
- Korsak, E. (2024, June 8). How to Make Your Retrospectives Truly Work. LinkedIn. https://www.linkedin.com/pulse/how-make-your-retrospectives-truly-work-eugenia-korsak-3lpxe
- Parabol. (n.d.). 5 Sprint Retrospective Benefits That Will Transform Your Team. https://www.parabol.co/blog/sprint-retrospective-benefits